Wald, Wald,Wald

Am nächsten Morgen will ich eigentlich gleich wieder los. Es gibt keinen Handy-Empfang und die ständige Suche nach Internet hat mich noch nicht los gelassen. Da kommt Stanislav um die Ecke und erzählt mir etwas auf Russisch. „Nie toropit, plavat!“ kann ich aus seinen Worten heraus hören. Soviel ich verstehe, meint er, ich soll mich nicht stressen und noch mal schwimmen gehen, da der See in dieser Bucht sehr warm sei. Ich besinne mich und gebe ihm uneingeschränkt recht. Schließlich gibt es keinen Grund in Eile zu sein. Und so springe ich zum ersten mal in den bisher noch saubersten Süßwasser-See der Erde. Als ich gegen Mittag auf dem Rückweg zum Ausgang des Nationalparks bin, treffe ich die ersten europäischen Biker in diesen Tagen. Francoise und Ives aus Frankreich sind schon zum zweiten mal auf Welt-Tour mit dem Motorrad. Ives ist schon berentet und Francoise in einem Urlaubsjahr. Wir plaudern eine ganze Weile, schließlich sind die beiden des besten Englisch mächtig, das ich seit Tagen gehört habe. Und das als Franzosen! Die beiden wollen noch weiter das Bargusin-Tal erkunden, ich selbst mache mich auf den Weg in Richtung Ulan-Ude. Kurz bevor die Straße vom See weg führt, suche ich mir eine Turbase, um noch eine letzte Nacht am „heiligen Meer“ zu verbringen. Ich bin mal wieder der einzige Gast. Ob er wenig Gäste habe, möchte ich vom Betreiber wissen. „Nein,“ antwortet er, „gestern hatten wir 45 Mongolen hier, morgen kommen 25 Neue.“ Es scheint, ich habe den richtigen Zeitpunkt erwischt.

„Lediglich“ 3500 Kilometer sind es von Ulan-Ude bis Vladivostok. Als ich am nächsten Morgen auf die Fernstraße einbiege, bin ich mir noch nicht sicher, ob es eine gute Idee war, die Strecke anzutreten. Ich habe mir vorgenommen, Chita als nächst größere Stadt in zirka 700km am gleichen Tag noch zu erreichen. Als es dämmert gebe ich 200km vor der Stadt auf und beziehe ein ranziges Zimmer in einem Truck-Stop. Inzwischen bin ich eine Zeitzone weiter östlich, daher ist es schon später als gefühlt. Gegen zehn Uhr hält ein Kleinbus vor meinem Gebäude und eine russische Großfamilie lädt lärmend ihre Sachen aus. Eine der Frauen scheint recht freundlich zu sein und erklärt mir unter einer gehörigen Fahne, dass sie aus Chita seien und sich hier für die Ferien eingemietet hätten. Sie seien an einem nahe gelegenen See zu Angeln gewesen. Ich versuche zu schlafen, bis mich die obligatorischen Heerscharen von Fliegen am Morgen wecken.

Der folgende Tag läuft etwas besser als der Vortag. Ich packe mir Musik auf die Ohren und versuche mich in Gedanken zu verlieren, während der Boxer und das eintönige Surren der Offroad-Reifen das Hintergrundgeräusch bilden. Ich erinnere mich an die Etappe durch Kasachstan, in der ich auch tagelang nur flache Steppe um mich herum hatte. Dieses mal ist es allerdings etwas malerischer. Bis zum Horizont bin ich von bewaldeten Hügeln umgeben. 3000 Kilometer Wald am Stück. Fast unvorstellbar, wenn ich es nicht gerade mit eigenen Augen sehen würde. Am Abend, 800 Kilometer später, habe ich mich bei Sascha in einem sogenannten Bike-Post angemeldet. Die Biker-Szene ist in Russland sehr gut vernetzt und so hat sich ein System etabliert, in dem sich die verschiedenen Clubs gegenseitig ihre Club-Häuser zur Übernachtung zur Verfügung stellen. Sascha ist Vize-Präsident der Iron-Angels in Mogocha, einer kleinen Stadt mit 13000 Einwohnern. Als ich vor den stählernen Toren des Clubheims anhalte, ist schon ein weiterer Biker angekommen. Andrej aus Vladivostok ist seit zwei Monaten auf Tour und auf dem Heimweg von seiner Freundin in Donezk. Ehe ich mich versehe, ist mein Motorrad in der Garage geparkt und ich sitze im darüberliegenden Clubheim auf dem Sofa mit einem Vodka in der Hand. Sascha ist Fernsehtechniker, Andrej arbeitet bei einem Energieversorger. Womit die Stadt Mogocha Ihr Geld verdient, möchte ich wissen. „Gold“, antwortet mir Sascha zu meinem Erstaunen. Mogocha heißt in der Sprache der Uhreinwohner Gold, erklären mir die beiden. Heutzutage scheint es immer noch reichhaltige Vorkommen zu geben, der Staat betreibt einige Minen in der Stadt. Als ich scherze, dass Sascha dann ja reich sein müsse, winkt er mich zum Fenster und zeigt auf einige Erdhaufen hinter dem Clubheim. „Siehst Du die Erde?“ fragt er mich. „Dort schürfen wir manchmal aus dem Fluss dahinten. Mehr als vier Gramm pro Kubikmeter kriegen wir hier jedoch nicht zusammen, das lohnt sich kaum“. Ich kann es trotzdem kaum fassen. Mogocha ist ein richtiges Goldgräber-Städtchen, hier mitten im tiefsten Sibirien. Irgendwann ist die Flasche Vodka dann auch leer und Sascha verabschiedet sich nach Hause, während Andrej und ich es uns auf den Sofas im Clubheim bequem machen.

In drei Tagen will Andrej in Vladivostok sein, er muss am kommenden Sonntag wieder arbeiten. Deshalb möchte er auch die 900 Kilomter nach Blagovetschensk an einem Tag niedermachen. Dazu fährt er mit seiner Honda CBR auch schon mal 200 auf der zuweilen doch recht löchrigen Fernstraße, erklärt er mir grinsend. Mit meinen runter gefahrenen Offroad-Reifen habe ich mir bei 120 Stundenkilometern ein Limit gesetzt und so beschließen wir, getrennter Wege zu fahren. Auch wenn mir alle Russen bisher versichert haben, dass sie mit meinen Reifen in jedem Fall bis Vladivostok fahren würden, überlege ich unterwegs eventuell auch noch einen Reifenwechsel einzubauen. Wieder verschwimmen Raum und Zeit zu einer homogenen Masse von Nadelbäumen, die rechts und links an mir vorbei ziehen. Selbst die Musikalben auf meinem Handy, die man im Alltag immer weiter klickt, müssen nun herhalten. Gelegentlich eine Tankstelle oder ein Cafe, dann wieder Wald. Da ich mich seit Tagen nach einer Dusche sehne, gönne ich mir bei Magdagachi für umgerechnet 25€ in einem kleinen Motel ein Zimmer mit Bad.

 

 

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