Wladiwostok

Auf der heutigen Fahrt merke ich die Nähe zu Blagovechensk und Chabarovsk. Blagovechensk ist die Grenzstadt zu China, ca. 100 Kilometer südlich von hier, Chabarovsk das Handelszentrum des gesamten östlichen Raumes Russlands. Der Verkehr nimmt daher etwas zu. An den Raststätten werde ich nun öfters neugierig von Russen aus Jakutien angesprochen, deren Verbindungsstraße vom Norden her auf die Ost-West-Verbindung trifft. Inzwischen bin ich auch nicht mehr auf sibirischem Boden, sondern in der Amur-Region unterwegs.
Gegen Abend meldet sich Mischa aus Chabarovsk bei mir und fragt besorgt, wie lange ich noch brauche. Er trifft mich schließlich an der Amur-Brücke, die in die Stadt hinein führt, um mich zu seiner Wohnung zu geleiten. Dort wartet schon seine Frau Natascha mit dem neunjährigen Sohn Lev auf uns. Das Wochenende steht vor der Tür und Mischa hat ein paar Freunde eingeladen. Für Lev wie auch alle anderen Kinder Russlands enden am morgigen Samstag die Sommerferien. Ich verabschiede mich irgendwann ins Bett, schließlich will ich am nächsten Tag das letzte Stück bis Wladiwostok durchrutschen.

Am letzten Fahrtag meiner Reise kann ich es kaum erwarten. Ich fahre zügiger als sonst und überhole auch schon mal riskanter. Gleichzeitig nimmt der Verkehr immer mehr zu. Schließlich übersieht mich dann doch einmal der Fahrer eines rechtsgelenkten Wagens beim Ausscheren. Auf letzter Rille kann ich noch ausweichen, die Sache geht glimpflich aus. Fast der gesamte Straßenverkehr wird inzwischen durch die gebrauchten, rechtsgelenkten Importwagen aus Japan dominiert. Sogar die Ticketautomaten an den Parkhäusern sind in Wladiwostok beidseitig angebracht. Pünktlich zum Sonnenuntergang taucht kurz vor Wladiwostok das Meer an meiner Seite auf. Ich kann mich des Gänsehautmoments nicht erwehren. Ich bin tatsächlich auf meiner GS um die halbe Welt gefahren. Jeden Meter auf eigener Achse. Von Deutschland bis hierher.

Ich checke in einer Pension für die nächsten Tage ein und verabrede mich mit Asya, einer Motorradfahrerin aus Wladiwostok, deren Kontakt ich von Kostia aus Novosibirsk bekommen habe. Asya hat eine ähnliche Reise wie ich begonnen, ihr Motorrad steht gerade im Senegal und wartet in der dortigen russischen Botschaft auf ihre Rückkehr. In Wladiwostok arbeitet sie als Maskenbildnerin beim Theater. Über Asya bekomme ich Kontakt zu Mischa, dem Präsidenten des hiesigen Motorrad-Clubs Iron Tigers. Er willigt ein, gegen einen Obulus mein Motorrad über den Winter trocken einzustellen. Als er mich in die Garage führt traue ich meinen Augen kaum. Vor mir stehen an die zwanzig Japan-Chopper, feinsäuberlich aufgereiht und etwas eingestaubt. „Bis vor wenigen Jahren habe ich mit dem Import von gebrauchten Motorrädern mein Geld verdient“, berichtet Mischa. Dann kam die Rezession und die Motorräder ließen sich nicht mehr verkaufen. „Die Reichen kaufen sich neue Bikes, und die Mittelklasse hat kein Geld mehr für teure Hobbies“, so Mischa weiter. Die 20 Chopper sind quasi noch übrig und warten auf bessere Zeiten. Mischa hat inzwischen ein anderes Business gestartet. Er betreibt zwei Party-Busse in der Stadt, die man mieten kann. Das laufe immerhin ganz ordentlich, sagt er.
Mir fällt auf, dass es in der Garage ungewöhnlich heiß ist. Es muss hier an die 40 Grad haben. Gleichzeitig ist im hinteren Bereich ein lautes Surren hörbar. Das Surren kommt von Lüftern aus einem Regal voll blinkender Elektronik. Als ich Mischa fragend ansehe, entgegnet er mir lachend: „Das ist eine Bitcoin-Maschine!“ Er vermiete hier Rechenpower einiger Hochleistungsrechner an Internet – Unternehmen, die darauf Bitcoins „machen“ wie er sagt. Das lohne sich momentan, da der Strom in Russland günstiger sei als in manch anderen Ländern. So verdiene er etwas Geld und heize gleichzeitig seine Garage. Früher sei es immer feucht und schimmlig in der Garage gewesen. Seit die Rechner hier stationiert seien, gehöre dies der Vergangenheit an, führt Mischa weiter aus. Ich bin fasziniert ob des ungewöhnlichen Synergie-Effekts und beginne, mein Motorrad für die Standzeit klar zu machen. Ein vorerst letztes Lebewohl an mein treues Reisegefährt, dann verschwindet sie im Dunkel der computergeheizten Garage.
Am folgenden Tag trete ich meine Heimreise mit dem wagen Plan an, nächstes Jahr die Fähre nach Südkorea und Japan zu nehmen. Sofern die Zollbestimmungen das zulassen.

 

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