Auf dem Weg zum Baikal

Mein Plan geht auf. Ich starte gegen sieben Uhr aus dem Oasis und finde fast leere Straßen vor. Der Mongole an sich scheint eher kein Frühaufsteher zu sein. Im Norden Ulanbators ist die Infrastruktur recht gut ausgebaut und so erreiche ich gegen Mittag die Grenze nördlich von Darchan. Die Schlange umfasst nur knapp zehn Autos, den Schluss macht zu meiner Freude Herbert mit seiner G-Klasse. Wir begrüßen uns freudig und erledigen parallel die Ausreiseformalitäten aus der Mongolei. Herbert möchte nur ein paar Tage nach Russland, um die einjährige Aufenthaltsgenehmigung für sein Auto zu erneuern. Nachdem uns die mongolischen Grenzer gerade mal eine halbe Stunde gekostet haben, stellen wir uns zuversichtlich an der russischen Blockabfertigung an. Die Warterei beginnt. Immerhin kann uns Herbert in seinem Camper mit Kaffee bewirten und wir können die Zeit mit Quatschen überbrücken. Als wir nach zwei Stunden an der Reihe sind, sind die Grenzer immerhin sehr freundlich und hilfsbereit. Ob es nördlich der Grenze Gasthäuser gibt, möchte ich wissen. In Kjachta direkt hinter der Grenze gebe es wohl eine Pension, bedeutet er mir. Und dann wieder in Gussinoojorsk, zirka 100km nördlich. „But don’t go Gussinoojorsk,“ fügt er hinzu.“They are all criminals!“ Wir sind uns nicht sicher ob das ein Scherz ist und ziehen es vor, nicht darüber nach zu denken. Doch weiter fahren möchten wir trotzdem. Herbert wird ohnehin in seinem Camper schlafen. Ich möchte gerne ein richtiges Bett für mich. Als wir Gussinoojorsk erreichen wird es schon dunkel. Im Zentrum der Stadt gibt es eine Absteige, die Hotel heißt, mir bleibt nichts anderes übrig als einzuchecken. Herbert stellt sich auf den Parkplatz eines Supermarktes nebenan. Und nun wird uns klar, was der Grenzer meinte. In meinem „Hotel“ scheint es keine einzige nüchterne Person zu geben. Während ich die Nacht trotzdem recht gut verbringe, macht Herbert in seinem Camper kein Auge zu. Ständig klopfen Besoffene oder die Polizei ans Auto, bis er irgendwann entnervt abfährt. Wir hatten uns am Abend schon vorsorglich verabschiedet.

Das erste Anzeichen, dass ich mich dem Baikal-See nähere, ist die Kälte, die mir um die Ohren pfeifft. Seit ich zu meinem Abitur von der Nachbarsfamilie Klaus Bednarz‘ Reisebericht „Ballade vom Baikalsee“ geschenkt bekam, habe ich davon geträumt, ihn selbst einmal zu bereisen. Nun ist es soweit. Hinter den Bäumen zu meiner Rechten müsste er liegen, der gigantische Süßwasserspeicher Sibiriens. Entstanden in einer plattentektonischen Erdspalte, fasst der See allein ein Fünftel der gesamten Süßwassermenge der Erde. Mit über 1600 Metern Tiefe ist er nicht nur das tiefste, sondern auch das sauberste Süßwasser-Gewässer der Welt. Bis heute hat das Seewasser an den meisten Stellen Trinkwasserqualität.
Im Winter ist der gesamte See mit einer meterdicken Eisschicht zugefroren, auf der dann zum Teil mit Autos befahrbare Trassen markiert werden. Im Sommer muss man lange Umwege zu Orten wie Severobaikalsk im Norden in Kauf nehmen. Da der See erst seit einer knappen Woche wieder eisfrei ist, ist die Wassertemeperatur noch empfindlich gering. So kommt es, dass es zwar in einigen Kilometern entfernt schon bald 25 Grad am heutigen Tag hat, direkt am See aber nicht mehr als 10.
Ich bin über Ulan-Ude gekommen und umfahre den See südlich in Richtung Irkutsk. Immer entlang der Eisenbahnstrecke der transsibirischen Eisenbahn, die zwischen mir und dem Seeufer verläuft. Fast alle fünf Minuten, so kommt es mir vor, rattert einer der unendlich langen Güterzüge auf den Gleisen an mir vorbei. Der globale Handel hinterlässt auch hier seine Spuren.
Sobald ich eine Möglichkeit erspähe, biege ich rechts ab und fahre direkt bis ans Ufer. Still, tiefblau und ganz harmlos liegt er da. Der Baikal, das heilige Meer Sibiriens. Über mir strahlt die Sonne vom wolkenfreien Himmel. Ich beschließe, mir Zeit zu lassen und zu genießen. Nach Irkutsk kann ich auch am nächsten Tag noch fahren.
Als ich in Baikalsk nach einer Unterkunft suche, traue ich meinen Augen kaum. Ich stehe vor einer größeren Liftanlage, die immerhein mit fünf Abfahrten aufwarten kann. Der große Platz vor der „Talstation“ ist zwar wie leergefegt, doch vor wenigen Wochen scheint hier feinster Apres-Ski auf russisch zelebriert worden zu sein. Einen Ort weiter finde ich schließlich eine kleine Turbase, so etwas wie eine Ferienanlage, direkt am Meer. Viktor, der Chef, öffnet mir das Tor mit seinen beiden Hunden Schuscha und Nemo. Seine Familie lebt in Irkutsk, während er die Anlage in der Winter- wie auch Sommersaison betreibt. Ich bin wieder der einzige Gast, und so kommt es, dass mich Viktor am Abend seine verschiedenen selbstgemachten Vodkas probieren lässt, während wir uns per Übersetzungsapp austauschen.

 

 

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