Casinos, Flüchtlingslager und Störche

Das erste, was mir in Gevgelija auffällt, sind die riesigen Casinos auf der mazedonischen Seite der Grenze. Ein großer Klotz nach dem anderen steht neben der Autobahn. Dort treffe ich Tome, den Besitzer meines Bed & Breakfast, an einer Tankstelle. Seine Pension liegt etwas abseits im kleinen Dorf Stojakovo, den Weg würde ich alleine nicht finden. Am nächsten Morgen wird er mir mit einem Augenzwinkern erzählen, dass die griechischen Bauern in diesen Casinos ihre EU-Subventionen verspielen. In Stojakovic angekommen, lerne ich Tobias aus Schweden kennen. Er ist als Volunteer hierher gekommen, arbeitet für Refugees Welcome im Camp Cherso. Er erzählt, dass Idomeni das einzige Camp sei, in das man einfach hineinlaufen könne, da es ein inoffizielles Lager  sei. Bei allen anderen müsse man sich akkreditieren. „Du musst Dir Idomeni in etwa so vorstellen wie auf einem Musikfestival“, sagt er: „Es riecht nach Lagerfeuer und Exkrementen und überall stehen Zelte – es ist chaotisch“. Am nächsten Tag bekomme ich beim Frühstück die Gelegenheit, mich ein wenig mit Tome zu unterhalten. Freilich gebe es jetzt mehr Übernachtungsgäste durch das Camp auf der anderen Seite der Grenze, doch die gebe es durch den Grenzverkehr ohnehin. Er und die Leute hier seien froh, dass die Grenze nun dicht sei, die Zustände vorher wären unhaltbar gewesen. Er ist überzeugt, dass Mazedonien die Grenze auf Geheiß der EU schließt. „Wir wollen ja Mitglied werden, also machen wir, was man uns sagt“.

Ich mache mich auf den Weg, um mir selbst ein Bild zu machen.

Über die Autobahn geht es zwischen Casino Princess und Casino Flamingo zur Grenze. Danach  passiere ich gleich drei verschiedene griechische Polizeiposten. Einer hält mich an, der Polizist interessiert sich allerdings vor allem für mein Motorrad. „Ja, zum Camp geht es da lang“, zeigt er mir. Was denn mit den Flüchtlingen passieren wird? „Wir haben nicht die geringste Ahnung“, entgegnet er achselzuckend und fügt dann noch hinzu: „Und alles wegen Eurer Bundeskanzlerin“.

Ich fahre an verschiedenen Ansammlungen von Zelten vorbei, bis ich direkt an den vom Zaun abgegrenzten Bahngleisen stehe. Die Gleise in Richtung Mazedonien werden von zwei Polizeibussen versperrt. Das Lager wirkt wie eine kleine Stadt. Gemüsehändler bieten ihre Ware an, an einer Ecke wird frisiert, dahinter bieten ein Dutzend Zigarettenverkäufer lautstark ihre Ware an. Auf einer alten Blechtonne wird Brot gebacken und verkauft.  Während ich über die Gleise schlendere und eine junge Syrerin fotografiere, gibt es in der Nähe Geschrei. Schnell hat sich eine Zuschauermenge gebildet, es sind Araber und Kurden, die aneinander geraten sind, keiner kann mir erklären, warum. Neben den ganzen kleinen Igluzelten, gibt es auch mehrere große Zelte, die anscheinend Hilfsorganisationen aufgebaut haben. In der „Ladenstraße“ sitzen drei junge Männer hinter Kisten mit Tomaten. Als ich andeute, dass ich gerne fotografieren würde, winken sie mich gleich herbei und bieten mir ein Bier an. Der jüngste ist Abdul Kadir (19), er spricht leidlich Englisch und übersetzt. Der Laden gehört John (30), er ist mit Frau und zwei Kindern hier her gekommen. Dann ist da noch Rebas (22), er ist kurdischer Christ. Alle kommen aus Aleppo, sagen sie. John war in Syrien ein Art Modedesigner erklärt er mir, bis er sich vor fünf Monaten mit Frau Gulistan und den Töchtern Ajin (4) und Kajin (2) auf den Weg gemacht hat. Seit drei Monaten sind sie nun in Idomeni. Er glaubt zwar nicht, dass sich die Grenze noch öffnet, wartet aber trotzdem auf eine „Gelegenheit“ nach drüben zu kommen. Dann will er nach Schweden, weil er glaubt, dass in Deutschland schon zu viele Flüchtlinge seien. Da ihm so langsam das Geld ausgeht, hat er den Gemüseladen angefangen.

Ein paar Meter die Straße hinunter fallen mir zwei Griechen auf, die im Straßenkehrergewand sauber machen. Einer davon ist Giorgio (56). Er spricht sogar Deutsch, hat mehrmals bei Daimler in Stuttgart als Ferienjobber gearbeitet. Vor einigen Monaten hat er neue Arbeit gesucht, da kam die Stelle als Hilfskraft in Idomeni gerade recht. Er wir von Ärzte ohne Grenzen bezahlt. Überhaupt scheint die Organisation recht viel der wenigen professionellen Einrichtungen in Idomeni zu stellen. Neben mir höre ich Englisch mit amerikanischem Akzent. Eine unabhängige Ärztin ist mit einer bunten Truppe in selbstgenähten Rot-Kreuz-Gewändern unterwegs. Sie versuche, in den vorgelagerten Camps, außerhalb von Idomeni, kranke Kinder zu identifizieren. „Ich bin kürzlich geschieden worden, und brauchte mal was anderes“, sagt sie.

Als ich zum Motorrad zurückkehre, tobt daneben eine Kinderhorde herum. Es scheint, dass viele der Kinder völlig unausgelastet sind. Ständig wollen sie meine Kamera anfassen, oder ärgern einen, um nur ein bißchen Aufmerksamkeit zu erlangen. Zwischen den Kindern entdecke ich zwei Blondschöpfe. Benedikt (22) aus Fürth und sein Kumpel sind Volunteers bei Hot-Food Idomeni, und spielen nach der Essensausgabe noch ein bißchen mit den Kids. Im Parkhotel in Polikastro kochen sie täglich, zusammen mit anderen Volunteers, mehrere tausend Mahlzeiten für die Flüchtlinge. Dann wird das Essen in zwei Schichten nach Idomeni gefahren. Benedikt hat bereits im März auf Hios gearbeitet, jetzt ist er trotz laufenden Semesters für zwei Wochen nach Idomeni zurück gekehrt. Er studiert Soziologie und Politik in Erlangen. Ironischerweise schlafen auch er und sein Kumpel im Zelt. Allerdings im Garten des Parkhotel in Polikastro. Der Besitzer gestattet das gegen ein paar Euro.

Mit gemischten Gefühlen kehre ich in meine mazedonische Idylle Stojakovo zurück. Beim Abendessen beobachte ich die vielen Störche, die seit Jahrzehnten im Dorf brüten. Am nächsten Tag will ich weiter Richtung Türkei.

Ein Kommentar zu “Casinos, Flüchtlingslager und Störche

  1. your report and pictures let me feel like I am there among them,History repeat it self
    same story but different lands god knows which country is next, leaders should take lessons from Benedikt and his friend, how nice to see in such young age their awareness of refugees misery,
    wish you safe continue

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