Haustausch und E-Vouchers

„Almania?“, fragt mich der ältere Herr schmunzelnd. Als ich nicke, fährt er grinsend auf Arabisch fort: „Es waren zwei Deutsche vom IS, die mein Haus in Syrien beschlagnahmt haben. Sie waren so blond wie Du. Ich habe Ihnen gesagt, ich würde ihnen mein Haus gerne im Tausch gegen ihres in Deutschland geben!“ Darauf hätten die scheinbaren Konvertiten entgegnet, er könne ihre Pässe gerne haben, sie bräuchten sie nicht mehr. Der Mann heißt Hussein (53) und ist mit einem Teil seiner Familie, er hat 8 Töchter und 4 Söhne, im Stadtteil Domlopinar in Gaziantep untergekommen. Eine der Töchter steht neben ihm mit einem Kind auf dem Arm. Ihr Mann ist tot, sie lebt wieder bei den Eltern. Ich bin mit einem Field-Team der Welthungerhilfe unterwegs, um Syrer für das E-Voucher Programm zu erfassen. Das Programm, welches vom deutschen Auswärtigen Amt finanziert wird und mehr als zehn Millionen Euro umfasst, erlaubt es den Begünstigten mit Hilfe einer Chipkarte, Lebensmittel im Wert von umgerechnet 16 Euro pro Monat pro Person zu kaufen. Damit die E-Vouchers gerecht verteilt werden, durchkämmen die Field-Teams in Zusammenarbeit mit den türkischen Ortschaftsräten Straße für Straße und registrieren die dort wohnenden syrischen Familien. Ich bin mit Leen (20) und Omar (23) unterwegs, die eigentlich syrische Studenten an der Uni in Gaziantep sind. Doch hier machen sie einen bewundernswerten Fulltime-Job. Geduldig hören sie sich ein schlimmes Schicksal nach dem anderen an, wägen ab, ob die Wohnadresse die richtige ist, tippen Daten in ihre Tablett-PCs. „Wir werden auch schon mal von ärmeren türkischen Familien beschimpft“, erzählt Omar, „da wir nur die syrischen Familien registrieren dürfen.“ Das führt manchmal zu Unmut. Der Job ist auch nicht ganz ungefährlich, schließlich sind die Helfer in den ärmsten und somit unsichersten Vierteln unterwegs. „Einmal musste ein Team vor Drogendealern fliehen, die dachten wir wären von der Polizei“, berichtet Omar. Die meisten Behausungen, die wir während unserer Tour betreten, sind eigentlich nur Rohbauten, Kellerräume oder Garagen. Aus der Not der Flüchtlinge haben hier viele Einheimische ein Geschäft gemacht. Oft haben die „Wohnungen“ nicht mal Fenster, von Einrichtung oder Heizung ganz zu schweigen. Dafür bezahlen die Geflohenen zwischen 150 und 200 Euro Miete im Monat. In einer Baracke sprechen wir mit einer älteren Mutter, ihrer Tochter und der Nichte. Um uns herum die Kinderschar. Die beiden jüngeren Frauen berichten, dass sie seit über einem Jahr nichts von ihren Ehemännern gehört haben. Sie sind in der freien syrischen Armee. Die Mutter hatte noch manchmal als Erntehelferin etwas Geld verdienen können, jetzt hat sie Gelenkprobleme und kann nicht mehr. Mit Hilfe der E-Vouchers werden sie zumindest genug zu essen haben. Trotzdem frage ich mich, wie sie bei diesen Umständen durch die harten Winter hier kommen sollen. Inzwischen ist es Nachmittag geworden und man merkt Leen und Omar an, dass der Tag ermüdend war. Omar hat 37, Leen 28 Familien registriert. Kurz vor Schluss klingeln wir an einer weitern Tür. Der Mann, der öffnet, reagiert unfreundlich und wendet sich ab. „Er hat uns als Lügner bezeichnet, und glaubt dass er eh nichts bekommt“ übersetzt mir Omar traurig. Dann fügt er noch hinzu: „Viele NGO’s wecken durch Befragungen Hoffnung, doch dann passiert nichts. Ich kann den Mann verstehen. Trotzdem schmerzt es mich, wenn wir so behandelt werden, während wir versuchen, den Menschen zu helfen.”