Durch die Wüste

Die Etappe in Richtung Aralsk hat mir am meisten Sorge bereitet. Man fährt praktisch durch die Wüste, die den Aralsee von Norden her Stück für Stück verlanden läßt. Nicht zuletzt, weil Kasachstan und Usbekistan den Zufluss zum See für den Baumwoll-Anbau abschöpfen. Auf den mehr als 600 Kilometer zwischen Aqtöbe und Aralsk gibt es keine Tankstelle und nur wenige Rastplätze. Laut verschiedener Berichte im Internet soll die Straße in furchtbarem Zustand sein. Ein Trucker erklärt mir aber: „No, no, road very good, I put Autopilot and you can sleep. All straight.“ Ich weiß nicht, ob ich beruhigt sein soll, weil die Straße gut ist, oder beunruhigt, weil die Trucker schlafen. Ich mache an der vorerst letzten Tankstelle halt. Die Kassiererin nickt bestätigend: „Yes, full, full“ – und ab geht´s in die Wüste. Die „furchtbare“ Straße entpuppt sich als wunderbar neu ausgebaut, mich juckt es in den Fingern und so fliege ich mit 150 Sachen Richtung Aralsee. Hier wird es die Polizei wohl nicht so genau nehmen. Ich durchquere einen Steppenbrand, schaue den Kamelen beim grasen zu, passiere Lastwagen mit geplatzten Reifen.

Gegen 18 Uhr suche ich das einzige Hotel in Aralsk. Zwei Frauen in Flirtlaune erklären mir kichernd den Weg. Sie sind 37 und 35 und arbeiten in der einzigen Bank des Ortes. „When we born, the sea was 20 kilometers away, now maybe 40“, erklärt mir die eine. In den 1960er Jahren hatte der Ort sogar noch einen Hafen, und die Einwohner lebten von der Fischerei. Jetzt gibt es nur Staub, Hitze und eine Güterzugstrecke, die hindurch führt.

Das Hotel ist eine Absteige, doch es gibt keine Alternative. Aus dem Flur ertönt Aussi-Englisch. Wenig später sitze ich im „Biergarten“ am einstigen Ufer des Sees mit Ben aus Australien und Pen(-elope) aus Canada. Die beiden sind mit einem Ford Fiesta unterwegs und wollten eigentlich in die Mongolei. Sie sind von Aktau zusammen mit anderen Abenteurern, die in Allradfahrzeugen unterwegs waren, den direkten Weg durch die Wüste gefahren. Entsprechend zugerichtet ist der Fiesta jetzt – ein Totalschaden. So müssen sich die beiden überlegen, was sie mit dem Schrotthaufen anstellen und wie sie Ihre Reise fortsetzen. Während Penelope sich ausruhen möchte, erkunden Ben und ich das Nachtleben von Aralsk. Wir landen in der scheinbar einzigen Disko und beobachten das Balzverhalten der hiesigen Jugend. Ich schreie Ben bei lauter Dance-Musik ins Ohr: „Imagine you would grow up here! This would be your world, this would be where you’d find your wife, your job, your everything.“ Die Vorstellung, in dieser menschenfeindlichen Umgebung zu leben, nötigt uns Respekt ab.

 

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