Alisher, Akram und Machmud

Es läuft prächtig. Ich bin seit einigen Stunden unterwegs, habe die kirgisische Grenze ohne Probleme passiert und Bischkek erfolgreich umfahren. Bis jetzt führt die Straße durch eine ebene Landschaft, ab und zu passiere ich ein Dorf, Geschäfte, Tankstellen. Doch nun tauchen die ersten Berge am Horizont auf, ich komme an eine Mautstation. Umgerechnet fünf Dollar muss man für die kommende Strecke berappen. Langsam beginnt die Straße, sich die Berge hinauf zu winden. Über die erste Herde Schafe, die die Straße blockiert, amüsiere ich mich noch. Nach der zehnten gewöhne ich mich daran. Ich fliege begeistert durch die Kurven, stets achtsam ob der massenhaften Schlaglöcher. Als erstes erklimme ich den To Ashu Pass. In 3400 Meter Höhe führt die Passstraße durch einen unbeleuchteten staubigen Tunnel. Allein der Tunnel ist ein Abenteuer für sich: Man sieht die Hand vor Augen nicht, gelegentlich haben die entgegen kommenden Trucks nicht einmal Licht an. Es wird empfindlich kalt hier oben, auf der anschließenden Hochebene pendelt sich die Temperatur auf 2000 Meter Höhe bei 8 Grad ein. Schließlich steigt die Straße zum zweiten Pass an, dem 3175 Meter hohen Ala-Bel. Der Himmel zieht sich zu, und während ich an Höhe gewinne, fängt es bei 3 Grad an zu regnen und anschließend zu schneien an. Es ist jetzt fast halb neun Uhr Abends und selbst Trucks sind keine mehr unterwegs. Ich habe mir zu viel vorgenommen. Umziehen würde auch nicht mehr helfen, so durchnässt wie ich bin. Nach einer halben Stunde Abwärtsfahrt ist ein Hostel angeschrieben. Ich biege sofort ab und genieße 20 Minuten später die heiße Dusche.
Am nächsten Morgen werde ich vom strahlenden Sonnenschein begrüßt. Um halb neun rolle ich durch die frische Morgenluft die Straße hinab geradewegs auf den Tok-Tagul See zu. Die Landschaft ist atemberaubend. Vorn der tiefblaue See und dahinter die verschneiten Pamir-Gipfel. Die Straße ist gut, es ist sogar wieder etwas wärmer. Während ich die nächste Bergkette erklimme, die mich von den kirgisischen „Lowlands“ trennt, bemerke ich einen weißen Honda, der mich zu verfolgen scheint. Normalerweise bin ich deutlich zügiger unterwegs als die vielen Lastwagen und alten Kisten die hier die Straßen bevölkern, doch der Wagen lässt sich nicht abschütteln. An einer Steigung kann ich ein paar Trucks überholen und der Wagen bleibt zurück. Als ich bei Tash-Kumir kurz anhalte, um am Navi etwas einzustellen, hält neben mir mit quietschenden Reifen – der weiße Kleinwagen. Drei Männer steigen aus und umrunden mein Motorrad. Jetzt wird mir klar: Sie wollten nur schauen, wer oder was da durch ihr Land fährt. Natürlich sprechen sie nur Russisch, Kirgisisch und Usbekisch, also radebreche ich auf Russisch. Sie kommen aus Bischkek und haben dort auf dem Bau gearbeitet. Alisher, Machmud und Akram sind Nachbarn, leben in der Provinz Dschalalabad und fahren übers Wochenende zu ihren Familien. Alisher scheint der älteste der Drei. „Plov! Usbek Plov!“ bedeutet er mir. Ich vermute, er möchte mich zum Essen einladen und nehme dankend an. Ich solle ihnen die kommenden 100 Kilometer hinterher fahren, erklärt er mir. Zwischendurch machen wir Halt und ich bekomme in einem Dorf ein Getränk aus Kefir und Getreide gereicht. „Gegen die Hitze!“, sagt Akram. Es hat inzwischen 30 Grad.
Als wir die drei Gehöfte der Männer erreichen, staune ich. In den Innenhöfen sind Gärten angelegt mit allem, was das Herz begehrt. Gurken, Tomaten, Zitronen, Kirschen wachsen dort und vieles mehr. Außerdem haben sie Hühner, Kühe, Hasen und ein paar Lämmer. „Alles ökologisch!“ zwinkert mir Machmud zu. Die drei Familien sind komplette Selbstversorger. Aus dem Kofferraum des Honda werden nun auch die Henne, die 12 Küken und drei Hasen befreit, die sie aus Bischkek mitgebracht haben. Alishers Frau wurde bereits per Handy vorgewarnt und die Berge aus duftendem Reis und Lammfleisch warten bereits auf dem Wohnzimmertisch auf uns. Ich lerne, dass ich bei Usbeken gelandet bin, die in Kirgistan leben. Alisher ist 49 und fünffacher Großvater. Zur Soviet-Zeit hat er als Offizier in der russischen Armee gedient. Er war sogar auf Kuba. Alles erinnert mich sehr an Afghanistan, die Frauen essen nicht mit. es gibt aber einen Unterschied: Sie haben mir völlig unverhüllt und entspannt die Hand gegeben und für die Fotos posiert. Ich bin überwältigt von der spontanen Einladung und habe fast ein schlechtes Gewissen, da ich nicht weiß, wie ich mich dafür revanchieren kann. Als die Uhr schon nach 18 Uhr zeigt, muss ich aufbrechen. Ich möchte Osh noch bei Tageslicht erreichen. Ich verspreche alle Fotos per WhatsApp zu schicken und auf dem Rückweg zumindest zu versuchen, vorbei zu schauen.